Stille in Basel
Ich weiss nicht, ob Ihnen das auch so geht, aber ich habe so meine Rituale, die ich liebe. Eines ist das Einrichten meiner neuen Jahresagenda in der Zeit zwischen den Jahren. In den noch leeren Kalender trage ich mir Geburtstage, Ferien und alle Termine ein, die ich schon vom Neuen Jahr weiss.
Das Datum für den Tag der «Stille in Basel» steht zwar noch nicht fest, aber das muss auch unbedingt in die Agenda. Dieses Jahr wurde er das erste Mal in der ehemaligen Don Bosco Kirche veranstaltet. Hervorgegangen aus der Woche der Stille in Basel ist er nun in gebündelter Form von Mittag bis Mitternacht erlebbar.
Er begann mit einer Gehmeditation durch das Quartier. Am idyllischen St. Albanteich starteten wir, im Zeitlupentempo einen Fuss vor den anderen setzend und stumm laufend. Der unaufhörlich fallende Regen trug ein Übriges zur Entschleunigung bei. Nicht weit von uns fuhren unablässig Autos vorbei, hasteten Menschen durch den Regen. Während wir in unserem Schneckentempo weitergingen.
Zen trifft christliche Mystik
Die nächste Meditation fand dann in der Kirche selbst statt. Im ehemaligen Altarbereich sassen wir auf winzigen Bänken in Yogahaltung im Halbkreis. Die Kursleiterin, eine ältere Frau mit einer beindruckenden braunen Lockenmähne, las konzentriert einzeln kurze Texte, die übrige Zeit schwiegen wir. Einmal umrundeten wir schweigend den Kreis, um uns danach wieder sitzend in der Stille zu verlieren.
In einem der anderen Kursräume trafen wir uns anschliessend zu einer Tanzmeditation. Lieder des Herzens nannten die beiden Lehrenden, die Gitarre spielten und sangen, die kurzen und herzerwärmenden Sufi-Gesänge, die wir anfangs allein, dann zusammen tanzten und sangen.
Erfrischt gingen wir danach zur nächsten Mediation, die wieder im Altarraum stattfand. Erneut im Halbkreis sitzend, wurden wir von einem jungen Mann durch das Hier und Jetzt geführt.
Nach so viel innerer Einkehr gingen die einen zum japanischen Tusche malen, welches Spannung zwischen Leere und Form versprach, die anderen zu einem Früchtepunsch und süssen Teilchen über.
Yoga einmal nur im Liegen
Die Ersten lagen schon gemütlich in eine Decke gekuschelt, als die letzten Tuschemalenden eintrafen. Doch dann mussten wir erst mal aufstehen, uns abklopfen und kopfüber stehend schütteln. Erst dann durften wir uns auf eine Meditation begeben, in der wir wach bleiben sollten. Das mantrahafte wiederholte «Blieb wach, schlof nyt ii» der jungen Frau, die uns durch das Yoga Nidra führte, half allerdings nicht allen. Vereinzelt waren entspannte Schlafgeräusche zu hören. Doch nach der Stunde waren wir alle erholt.
Nun gab es das Nachtessen. Die heisse Karotten-Ingwersuppe geriet zu einer ganz eigenen Meditation, da sie noch so heiss war, dass sie erst einmal kräftig gerührt werden musste. Jetzt war auch Zeit für Gespräche und ein allgemeines Kennenlernen.
Nach dem Abendessen wurden wir mit einem Konzert verwöhnt. Zwei junge Männer, der eine mit wilden Locken, der Andere diese in einem Man Bun gebändigt, spielten konzentriert und in tiefer Versunkenheit Handpan. Zwischen den Stücken wechselten sie die Instrumente, die einander zum Verwechseln glichen. Wie sie diese auseinanderhalten konnten, blieb ihr Geheimnis.
Stille ist Widerstand
Wir blieben anschliessend in der Kirche, die sich noch weiter füllte. Denn nun folgte ein weiterer Höhepunkt des Abends, ein Gespräch mit Ahmad Milad Karimi und Christian Rutishauser. Der Philosoph und Theologe, der unter anderem den Koran übersetzt hat und an der Universität Münster eine Professur für islamische Theologie innehat, tauschte sich mit dem Jesuiten und Judaistiker über Stille und die Bedeutung dieser in den Religionen aus. Dazwischen waren wir für einige Übungen eingeladen. Einzelne Sätze wie «Stille ist Widerstand» regten dabei zu neuen An-und Einsichten an.
Zum Abschluss standen alle in der Kirche, zuerst nach Osten, wie im Christentum, dann gegen Mekka gerichtet, was in etwa auch der Richtung nach Jerusalem gleicht. Damit waren drei der grossen Weltreligionen abgebildet. Am Ende konnten wir uns frei entscheiden, wie wir stehen wollten. Mit einem Verhältnis von halb zu halb wirkte es zwar unentschieden, war aber letzten Endes unwichtig.
Damit war der Abend aber noch nicht zu Ende: In einem Nachtgespräch sprach der Podcaster Lucas Widmer der Meditationsszene Schweiz über seine Tätigkeit.
Fackeln und ein wärmendes Feuer im Kirchgarten beendeten den Abend stimmungsvoll.
Wenn Sie nun neugierig geworden sind, auch das nächste Jahr wird Basel einen Tag offline gehen. Wahrscheinlich wieder Anfang Dezember, wenn die Tage kurz und die Nächte lang sind.
Annekatrin Kaps
20.12.2024